Freitag, 1. November 2013

Fach- und Studienkultur in den Geowissenschaften - Eine Einführung

Moin,

ich nehme einen kürzlich auf Spiegel Online erschienenen Artikel zum Anlass, einmal ein paar Dinge über die bei den Geowissenschaftlern herrschende Fachkultur zu schreiben. Immerhin hat ein neues Wintersemester begonnen und wir haben viele neue ErSies, die viele neue Dinge erst noch kennen lernen müssen. In manchen Studiengängen scheint ein raues Klima von Konkurrenz zu herrschen, nach allem, was man so hört. Da versuchen Studenten ihre Kommilitonen runter zu machen, in der Hoffnung, im direkten Vergleich besser dazustehen. Neben dem im Artikel beschriebenen Fall von außergewöhnlich dämlichem Plagiarismus wurde mir gegenüber auch schon kolportiert, dass das bewusste Zerstören wichtiger Bücher in der Bibliothek, mit der Absicht, den Kommilitonen Informationen geziehlt vorzuenthalten, in bestimmten Fächern zum Repertoire gehört. Ich weiß nicht, wie viel davon Vorurteil ist, und vielleicht ist es auch an verschiedenen Universitäten unterschiedlich, aber gerade Jura und Betriebswirtschaft werden immer wieder als Fächer genannt, in denen mit harten Bandagen gespielt wird. Ich will mir auch gar nicht anmaßen zu beurteilen, ob das an dem Leistungsdruck, den vermittelten Inhalten oder den Leuten liegt, die ein solches Studium überhaupt aufnehmen. Ich möchte aber nachdrücklich darauf hinweisen, dass der Hase in den Geowissenschaften anders läuft.

Die Geowissenschaften stehen in der Tradition des Bergbaus mit seiner Jahrtausenden alten Geschichte. Und auch wenn Geowissenschaftler heute mehrstenteils nicht mehr unter Tage arbeiten, weil die momentanen wirtschaftlichen Gegebenheiten das eben nicht erfordern, so finden sich doch überall noch Hinweise auf diese Traditionen. Die Barbarafeier, die Grußformel "Glück auf", verwendetes Werkzeug und die Rechtfertigungen für den ununterbrochenen Bierkonsum sind den Gepflogenheiten der Kumpel entlehnt. Und Teil dieser Tradition ist es eben auch, dass man zusammen steht, dass man gemeinsame Sache macht, weil die Umgebung schon lebensfeindlich genug ist. In der absoluten Nacht des Berges, mit Millionen Tonnen Gestein über dir, brauchst du jeden Freund, den du kriegen kannst. Nicht umsonst waren es Bergleute, die die erste Hinterbliebenenversicherung eingerichtet und damit den Grundstein für unser gesamtes modernes Sozialsystem gelegt haben. Auch im heutigen Studium unterscheiden die Geowissenschaften sich von anderen Fächern maßgeblich durch die erforderlichen Exkursionen. Davon ist bei Leibe nicht alles touristischer Sonntagsspaziergang. Manchmal schlägt man sich tagelang durch verregnete Wälder, manchmal hängt man im wahrsten Sinne des Wortes an Hängen herum, im Idealfall ist man dabei aber nicht allein.

Geowissenschaftler zu sein bedeutet, auf Kollegen angewiesen zu sein und sich auf sie verlassen zu können. Manche Beprobung ist alleine zu gefährlich und durch die enorme fachliche Breite sind Fragestellungen oft nur im Verbund zu lösen. Wer im Untergrund etwas sucht, braucht mitunter Tektoniker, Sedimentologen, Geophysiker und Mineralogen und und und. Da ist kein Platz für Egotrips.

Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist, was das in eurem Studium konkret für euch bedeutet. Ich sage, schaut euch in der nächsten Vorlesung mal eure Sitznachbarn an. Diese Leute bieten euch die beste Chance, im Studium voran zu kommen. Nicht indem ihr sie runter macht, sondern indem ihr euch zusammenschließt. Lernt gemeinsam, teilt jedes bisschen nützlicher Information, bringt umfänglich ein, womit ihr helfen könnt und zögert nicht, an jene heranzutreten, die etwas besser können als ihr und um Hilfe zu bitten. Seid euch darüber im Klaren, dass ihr Naturwissenschaftler seid. Die Natur ist nicht simpel. Sie kümmert sich einen Scheißdreck darum, ob jemand sie begreift. Es gibt da draußen jede Menge Wissen, das die Menschheit nicht besitzt, auf das sie aber dringend angewiesen ist. Einer alleine kann da nicht viel erreichen. Um ein so gigantisches und beinahe schon bösartig komplexes System wie unseren Planeten zu verstehen, müssen wir die bestmögliche Kooperation anstreben.

Es ist ja auch nicht so, dass jeder jeden immer gerne haben muss. Der eine kommt mit der anderen besser klar und andersherum. Was es aber braucht für ein erfolgreiches Studium bei uns, das ist die Fähigkeit zur professionellen Zusammenarbeit, gepaart mit einer gewissen Ehrlichkeit. Wer aufrichtig zugibt, dass er an der einen oder anderen Stelle Nachholbedarf hat und sich dann lieber für sein Studium noch ein oder sogar zwei Jahre mehr Zeit nimmt, der ist in jedem Fall viel angesehener als der Blender, der Wissen vorspiegelt, das er nicht besitzt (oft ziemlich offensichtlich). Das ist für alle Beteiligten fürchterlich peinlich und im schlimmsten Fall erschummelt sich so jemand dann einen Abschluss, mit dem er für z.B. ein großes Bohrprojekt Verantwortung übernehmen kann. Da hilft dann irgendwann auch keine Haftpflicht mehr.

In diesem Sinne
Gute Nacht

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen